Was ist der Vorteil von Konsens?

Der Begriff Konsens ist uns eher aus dem geschäftlichen Umfeld bekannt: Eine Entscheidung ist getroffen, wenn alle dafür sind. Der Vorteil einer einvernehmlichen Entscheidung liegt auf der Hand: Wenn ein Konsens erzielt wurde und damit vielleicht ein Problem aus der Welt geschaffen wurde, stehen alle Beteiligten hinter dem gefundenen Beschluss und tragen ihn gemeinsam mit.

Das ist etwas grundsätzlich Anderes als eine Abstimmung, bei der es immer Gewinner und Verlierer gibt.

Ich zeige hier warum es vorteilhaft ist, den Begriff Konsens im Licht einer partnerschaftlichen Liebesbeziehung oder einer erotischen Begegnung zu betrachten.

In der Liebe und Erotik haben wir das Ideal uns frei fühlen zu wollen, bestenfalls mit dem Partner gemeinsam im Flow zu sein.

Konsens in Berührungen

In erotische Begegnungen wollen wir uns als Paar genießen und uns über den Raum, der zwischen uns entsteht, freuen: Verbindung spüren, uns gegenseitig nähren, Liebe, Lust und Leidenschaft erleben.

Für den Wunsch nach diesem Gefühl rechnen wir nicht auf, erlauben uns und dem Partner*in sich fallen zu lassen und lassen manchmal »fünfe gerade sein« – sind großzügig. Häufig empfinden wir uns in dieser Großzügigkeit als besonders liebevoll.

Aber…

Wir sind auch deshalb großzügig, weil wir uns mit einem Menschen in eine intime Welt begeben, in der wir sehr viel von uns zeigen und uns dementsprechend verletzlich fühlen.

Wie heißt der Satz: »Was du nicht willst, dass man dir tu‘, das füg auch keinem andern zu.« Sind wir vielleicht auch manchmal großzügig um damit der Gefahr zu entgehen selber kritisiert zu werden?

Sage ich vielleicht deshalb nicht: »Ich finde es schöner, wenn du mich auf eine andere Art, in einem anderen Tempo, an einer anderen Stelle berührst«, weil ich es selber nicht gerne hören würde? Weil sich dann das Gefühl bei mir einstellen könnte, ich sei »nicht gut im Bett«?

Das geschieht, wenn wir unsere Wünsche nicht äußern

Wenn wir unsere Wünsche nach Berührung gar nicht oder eben nicht genauer äußern, wo bleibt dann diese kleine Enttäuschung? Wenn er einen Hauch zu kräftig über unsere Haut streicht und wir deswegen nicht in unser entspanntes Wohlgefühl kommen? Oder wenn sie immer wieder zögerlich und zurückhaltend in ihren Berührungen bleibt?

(Ich nutze für diese Beispiele ganz bewusst Klischees, weil sie in diesem Fall helfen können Dynamiken besser zu entschlüsseln.)

Wollen wir Sex haben?

Diese kleinen Enttäuschungen sammeln sich auf einem kleinen Haufen. Und wenn das nächste Mal die Frage in der Luft liegt: »Wollen wir Sex haben?«, dann kommen sie um die Ecke gekrochen und bringen Zweifel und unter Umständen Unlust mit. Nach dem Motto: Dann passiert wieder das, was ich eigentlich nicht 100%ig schön finde, was mich nicht wirklich entspannt, was mich nicht wirklich anmacht, was sich lau anfühlt.

Mit diesem kleinen Haufen Enttäuschungen sind wir immer leichter geneigt »Nein, danke« zu denken und schlagen vor, doch vielleicht lieber gemeinsam ins Kino zu gehen.

Konsens, also von beiden empfundene Einvernehmlichkeit, schafft uns also einen sicheren Raum in dem wir davon ausgehen können, dass eine Berührung sich genau dann gut anfühlt, wenn wir jederzeit zu ihr »Ja« oder »Nein« sagen dürfen.

Wenn Berührung ein Geschenk ist

Wenn ich Wünsche formulieren darf, weil ich mir sicher sein kann, dass die Berührung ein Geschenk für mich ist.

Wenn ich mir dieser gebenden Motivation meiner Partner*in sicher sein kann, bin ich frei jederzeit etwas zu verändern: Ich kann mir Varianten oder auch etwas ganz Anderes wünschen – und muss mir nicht Kopf zerbrechen, ob ich meinen Partner*in mit meinen Wünschen irritieren oder ob er/sie sich beleidigt fühlen könnte.

Wheel Of Consent, Konsens-Rad. Dynamik geben - empfangen

Der Text beschreibt die Dynamik in Berührungen zwischen den Quadranten „Geben“ und „Empfangen“ im Wheel Of Consent von Dr.Betty Martin