„Intimität entsteht durch Kommunikation“

Michael Firnkes hat mir Fragen zu dem Thema Sexualität und Konsens gestellt – hier ist das Interview

Wenn sich zwei Menschen sexuell begegnen, die sich noch nicht lange kennen, gibt es auf der einen Seite nicht selten die Angst vor Grenzverletzung. Auf der anderen Seite steht die Sorge davor, eben jener beschuldigt zu werden, obwohl man von einem gemeinsamen Konsens ausging. Sandra, wie bleiben trotzdem intime bzw. sexuelle Begegnungen möglich, die spontan im Moment entstehen?

Wenn zwei Menschen zusammen sexuell werden wollen, gehe ich davon aus, dass sie sich etwas Gutes tun wollen: gemeinsam Erregung erleben, körperliche Nähe spüren und vielleicht emotionale Verbindung erleben. Angst ist dabei kein guter Begleiter.

Wenn ich mich im Alltag verabrede komme ich ohne Kommunikation über gemeinsame Vorstellungen und Wünsche auch nicht dazu gemeinsam etwas Schönes zu erleben. Interesse am Anderen, reden, zuhören, nachfragen – das halte ich für wichtig.

Spüre ich dennoch Irritationen im sexuellen Kontakt, hilft es Augenkontakt herzustellen, langsamer zu werden, vielleicht auch mal eine kurze Pause zu machen, was zu trinken oder auf die Toilette zu gehen, um dann zu schauen: Ist meine Lust noch da? Will ich da anknüpfen, wo wir gerade waren?

„Muss ich mir jetzt alles vorher unterschreiben lassen?“ ist ein Gedanke vor allem der männlichen Seite, die ich durchaus nachvollziehen kann. Ist das aus deiner Sicht eine Möglichkeit, um besser zu reflektieren, was man will und was nicht?

Interessant an diesem Ansatz finde ich den Punkt darüber zu reflektieren, was man klar will, was man klar nicht will und den Raum der dazwischen existiert: Unsicherheit. Genau dieser Raum ist ja extrem spannend und vor allem intim in dem Sinne, dass ich mich zeige. Dazu gehört auch meine und deine Unsicherheit, die ich menschlich finde und die durchaus reizvolle Erforschung des »Raum des Nichtwissens«.

„Ich wünsche mir, dass du unbedingt sofort kundtust, wenn dir etwas nicht gefällt, was ich tue.“

Welche Alternativen gibt es, die weniger formell und dennoch klar sind?

Ein guter Freund hat mir von einer sehr schönen Möglichkeit erzählt, wie er klar ist ohne formell zu sein: „Ich selbst sage neuen, aber auch bisherigen Sexpartnern: Ich wünsche mir, dass du unbedingt sofort kundtust, wenn dir etwas nicht gefällt, was ich tue. Ich verspreche dir, dass ich nicht irritiert sein werde und sofort darauf in deinem Sinne eingehen werde. Und ich werde sofort mitteilen, was sich für mich nicht gut anfühlt, und gerne Berührungsalternativen nennen.“

Ich finde das ist eine sehr erwachsene und ganz wunderbare Aussage, die im besten Sinne fürsorglich für beide ist. Auf diese Weise ist ständiges Nachfragen gar nicht nötig. Zusätzlich darf ich erleben wie es mich entspannt, wenn jemand gut für sich sorgt.

Wie lassen sich Körpersignale aber auch Äußerungen so deuten, dass es nicht zu Missverständnissen kommt? Was hilft im Vorfeld, um herauszufinden, ob mein Gegenüber den intimen Kontakt in dieser Form auch wirklich will?

Körpersignale sind so gut wie nie eindeutig – das zu wissen ist ein sehr wichtiger erster Schritt. Wenn ich Zweifel habe, ob ich jemanden richtig verstehe, hilft nur eins: fragen. »Möchtest du, dass ich dich küsse?«

„Möchtest du, dass ich damit weitermache?“

Wie kann ich in der Begegnung selbst herausfinden, ob mein Gegenüber noch im Konsens ist, ohne dass der intime Moment durch fortlaufendes Nachfragen gestört wird?

Deine Frage impliziert, dass Kommunikation die Intimität stört. Ich sehe es eher so, dass Intimität durch Kommunikation entsteht. Wie wäre es, wenn wir sexy kommunizieren? Ich finde die Frage: „Möchtest du, dass ich damit weitermache?“ eher erotisch als störend. Und auch mein „Oh, jaaaaa…“ kann für mich, wie für mein Gegenüber, erotisch sein. Zusätzlich kann ich durch hörbares atmen, stöhnen, brummen, schnurren und die Bewegungen meines Körpers kommunizieren.

Auf der anderen Seite: Was können jene beitragen, die sich schwer damit tun, ihre Grenzen zu erkennen und zu äußern bzw. zu zeigen? Wie lässt sich die klare Kommunikation üben?

Wer seine Grenzen zwar kennt, aber sich damit schwertut sie mitzuteilen, hat vermutlich ein Thema mit dem eigenen Selbstwert oder unbewusste Glaubenssätze. Wenn ich mich selber als wertvoll wahrnehme, liegt es auf der Hand, dass ich nicht nur mit einem „Ja“ wertvoll bin, sondern mit allen meinen Facetten und Anteilen. Üben lässt sich das, indem ich mich häufiger – auch in Alltagssituationen – frage, was gerade mein Wunsch ist, womit es mir gut gehen würde und darüber spreche.

Selbstwertthemen können sehr komplex sein, so dass es hilfreich sein kann sich in der Findung der eigenen Werte begleiten zu lassen.

Mein Geschenk an mein Gegenüber kann eine Handlung oder eine Erlaubnis sein.

Was passiert aus deiner Sicht, wenn zwei Menschen nicht im Konsens sind, auch feste Paare: Gibt es „Warnzeichen“ vorab? Und wie können beide Partner*innen darauf reagieren?

Als Paar im Alltag nicht immer im Konsens zu sein, halte ich für normal und wichtig. Der Sexualtherapeuten David Schnarch nennt Differenzierung als wichtige Voraussetzung für gelingende Erotik in der Partnerschaft. Warnzeichen in der gemeinsamen Sexualität können ein häufiges Gefühl der inneren Leere und Unverbundenheit sein, manchmal auch wachsende Lustlosigkeit. Spätestens dann wird es wichtig sich darüber zu unterhalten, was man sich beim Sex wünscht.

Ich bin ein großer Fan des 3-Minuten-Spiel, das sich auf das Wheel of Consent, das Konsens-Rad, bezieht. Mit den Fragen „Wie möchtest du mich berühren?“ und „Wie möchtest du von mir berührt werden?“ lassen sich ganz praktisch unterschiedliche Berührungen erleben und erforschen. Sehr aufschlussreich ist dabei die Erkenntnis, dass es Konsens nicht nur in der Dynamik „dienen (umgangssprachlich geben) und empfangen“ gibt, sondern ebenfalls in der Dynamik „nehmen und erlauben“. Mein Geschenk an mein Gegenüber kann eine Handlung sein oder eine Erlaubnis, die vorher gegeben wurde.

„Nur ein Ja ist ein Ja.“

Aus deiner Erfahrung heraus: Was wünschst du dir, damit das Thema Konsens mehr in die Öffentlichkeit gelangt, ohne für zusätzliche Verunsicherung zu sorgen?

Offenere Kommunikation über Sexualität – ganz klar. Zusätzlich ein wachsendes Bewusstsein für Grenzen – auch im Alltag. „Nur ein Ja ist ein Ja.“ bringt es für mich gut auf den Punkt. Wenn es uns dann noch gelingt, den eigenen Unsicherheiten liebevoller zu begegnen, sind wir ein großes Stück weiter, uns als Menschen wertschätzend zu begegnen.

Auf seinem Blog zu Achtsamkeit und Sexualität hat Michael Firnkes weitere interessante Fragen über Weibliches Begehren an Hanna Krohn und an Alma Katrin Wagnere über Intimität in Beziehungen gestellt.